In meinem Praktikum begleite ich Hilfsangebote in Familien. Die Familie, bei der ich heute bin, stammt aus Libyen und lebt seit 3 Jahren in einer deutschen Kleinstadt. Der Vater und die Kinder (9, 8 und 1,5 Jahre) sprechen fließend Deutsch, Arabisch und Englisch. Die Mutter kann noch nicht so gutes Deutsch.
Ich bin das erste mal nach unserem Kennenlernen bei der Familie zu Besuch. Es ist 11.00 Uhr und ich klingle an der Wohnungstür. Die Frau und der 1,5-jährige Sohn öffnen mir Freude strahlend die Tür. Ich lege meine Jacke an der Garderobe ab. Als sie mich fragt, wie es mir geht, antworte ich mit „Gut und euch?“. „Auch“, sagt sie. Im Anschluss deutet sie Richtung Wohnzimmer und geht vor. Ich gehe hinterher und wir setzen uns auf das Sofa. Der kleine Junge sitzt zwischen uns und auf dem Fernseher läuft seine Lieblingszeichentrickserie auf Englisch. Wir gucken alle drei auf den Fernseher, keiner sagt etwas. Nach ein paar Augenblicken gucke ich die Frau an und sie lächelt mir verlegen zu. Ich lächle zurück und sehe mich im Wohnzimmer um. Seit etwa 3 Minuten schweigen wir uns an. Diese Stille ist mir unangenehm, aber ich weiß nicht genau, was ich sagen soll. Es ist eine Angst in mir, dass sie mich nicht verstehen könnte. Wir kennen uns erst durch ein Gespräch und so weiß ich auch nichts über ihre Interessen. An ihrer Haltung und den schüchternen Blicken kann ich jedoch erkennen, dass es der Frau genau so zu gehen scheint. Schließlich breche ich das Schweigen, deute nach draußen und sagen: „Heute ist das Wetter sehr schön. Es ist windig, aber die Sonne ist schon warm.“ Die Frau nickt zustimmend und erwidert, dass es sehr kalt und wechselhaft in Deutschland sei. Den einen Tag ist es warm und dann ist es wieder kalt. Das kenne sie so aus ihrem Heimatland nicht. Ich frage sie, ob wir eine Runde im anliegenden Park spazieren gehen wollen. Die Frau nickt und freut sich. Daraufhin ziehen wir drei uns an und gehen raus.
Ich deute die Situation als ein Kennenlernen mit einem schwierigen Start, weil die Frau und ich unsicher über den Beginn unserer Unterhaltung waren. Sie war bedingt durch fehlendes Vertrauen, da wir uns erst einmal gesehen hatten. Vermutlich haben wir in der Situation das gleiche gefühlt. Wir hatten Gedanken in unserer Muttersprache, wussten aber nicht genau, wie wir uns ausdrücken sollten damit uns der andere versteht. Das Dilemma ist die Kommunikation mit mangelnden Sprachkenntnissen und fehlendem Vertrauen. Da ich die Frau noch nicht richtig kannte, wusste ich nicht genau, wieviel Deutsch sie versteht und auf was sie antworten kann. Auf der anderen Seite hat sich die Frau nicht getraut, etwas zu sagen, aus Angst, etwas falsch zu machen und ausgelacht zu werden. Sie konnte mich und meine Reaktion noch nicht einschätzen.
Meiner Meinung nach, sind unsere Handlungsweisen nachvollziehbar. Jedoch denke ich, dass das Schweigen von meiner Seite hätte etwas früher gebrochen werden können. Es hätte mir vorher bereits bewusst gewesen sein müssen, dass die Frau nicht von allein anfangen würde zu reden. Sie wollte sich mit mir allein treffen, um das Sprechen zu üben und Fragen stellen zu können. Denn im Beisein ihrer Kinder und ihres Mannes, überlässt sie ihnen aus Unsicherheit das Wort. Eine neue Sprache kann man nur richtig lernen, wenn man sie übt und auch mal Fehler macht.
In dieser Situation habe ich mich überfordert gefühlt. Vor allem hat es mir gezeigt, dass ich offener und mutiger sein und mit mehr Selbstvertrauen an unbekannte Situationen rangehen kann. Denn grundsätzlich bin ich schüchtern, wenn es an das Kennenlernen neuer Personen geht. Jedoch kam in dieser Situation zusätzlich noch die Sprachbarriere hinzu. Ich hab dadurch gelernt, dass ich meine Komfortzone verlassen und über mich hinauswachsen kann.
Die Situation hat sowohl mich als auch die Frau gelehrt, einfach zu reden und nicht so viel nachzudenken. Denn eine Sprache lebt davon, gesprochen zu werden und nur so kann man sich besser kennenlernen. Falls wir uns nicht auf Anhieb verstehen sollten, kann man das bereits Gesagte noch einmal mit anderen Worten erklären und notfalls auf Hilfsmittel wie Google Übersetzer zurückgreifen.
Durch die Analyse der Situation stellt sich mir die Frage, ob es eine Art Leitfaden gibt, wie man am besten auf Menschen mit Migrationshintergrund und mangelnden Sprachkenntnissen zugehen kann, um sie zu fördern ohne sie einzuschüchtern oder zu überfordern. Ich frage mich auch, ob ich richtig gehandelt habe, oder ob ich ganz anders an die Situation hätte rangehen sollen.