Jensi


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Ich befinde mich als Studentin und Forscherin in einem ersten vorbereitenden Gespräch zu meinem Forschungsprojekt über Kinder mit Schulbegleitung. Ich spreche mit zwei Pädagoginnen an einer Gemeinschaftsschule. Ich habe noch keine Schüler und Schülerinnen kennen gelernt.

Pädagogin I dreht sich zu Pädagogin II und sagt „das können wir Jensi dann aber nicht sagen, also das er beobachtet wird“. Diese antwortet „ja das stimmt, sonst benimmt der sich so wie du es brauchst.“, „ja, total angepasst“. Ich hake mich ein „Der Jens von dem ihr sprecht, ist das ein Kind welches schulbegleitet wird?“ Frau Reich antwortet „genau und der ist von den I-Kindern der, der sich auf jeden Fall anders verhalten würde.“ Der Begriff „I-Kind“ fällt mir sofort auf und fällt noch oft in dem Gespräch. Ich versuche mich mit einer Erklärung zur ethnografischen Beobachtungstechnik und sage „Ich weiß, dass ich als Forscherin das Feld wahrscheinlich immer verändere. […] ich schaue mir genau an was da gemacht wird, was gesagt wird und getan wird und gehe davon aus, dass allem ein bestimmtes Wissen zu Grunde liegt. Auch Jens kann wenn ich da bin zwar anderes agieren oder wie ihr vermutet, etwas Erwünschtes sagen, aber die Forschungsmethode geht davon aus, dass sich die soziale Praxis dadurch nicht verändert.“ Pädagogin I erwidert „aber er will nichts falsch machen“.

(Protokoll b1, 19.03.18, Z: 55-73)


Eine Reflexion

  1. Reflexion: Jensi der Besondere

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    Die beiden Fachkräfte sind mit dem Forschungsinteresse vertraut. Es geschieht jedoch eine Umdeutung des Interesses von der Alltagsinteraktion der Klasse auf das Verhalten der „I-Kinder“. Neben der Umdeutung geschieht damit die erste Differenzierung der Klasse durch die Fachkräfte in die „I-Kinder“ und die anderen Jugendlichen, die überhaupt keine Erwähnung finden. Gründe dafür könnten sein, dass sie sich im Verständnis der Fachkräfte im normierten Bereich befinden, nicht so die „I-Kinder“. Die Gruppe der „I-Kinder“ wird als gängiger Terminus verwendet und deutet auf das geteilte Verständnis der Fachkräfte hin. Weitere Protokolle bestätigen die verbreitete Verwendung des Begriffs unter den Erwachsenen im Feld, sowie die Nicht-Benennung von Nicht-„I-Kindern“. Das Hervorheben der betreffenden Gruppe stützt die These der Besonderung.

    Nachdem die Forscherin in die Kategorisierung eingeführt wurde, wird der Schüler Jens als besonderer Vertreter der Gruppe der „I-Kinder“ unvermittelt ins Gespräch gebracht und charakterisiert. Der Junge ist nicht anwesend, dennoch wird mit der Forscherin, einer bis dato Fremden, darüber gesprochen. Die Forscherin muss also davon ausgehen, dass er erwähnt wird, weil es Gründe für die Fachkräfte geben muss ihn explizit zu benennen. Diese Gründe entschleiern sich im weiteren Verlauf des Gesprächs.

    Zunächst folgt der Beschluss der beiden Frauen, dass der Schüler Jens nicht von der Beobachtungstätigkeit der Forscherin erfährt. Hierbei geht es nicht mehr um die Schulklasse, geschweige denn die Gruppe der Schüler und Schülerinnen oder „I-Kinder“, sondern allein um Jens. Der Schüler, der einer siebten Klasse angehört und demnach 12 oder 13 Jahre alt ist, wird von den Fachkräften „Jensi“ genannt. Auch in dieser Bezeichnung herrscht ein stummes Einverständnis der Beiden. Das Anhängen der Diminutivendung „i“ führt zu einer wahrgenommen Verniedlichung und zumindest beabsichtigte Verkleinerung des Schülers. Bekannt sind solche Bezeichnungen beispielsweise als Kosenamen und werden gelegentlich sogar abwertend gebraucht. Die Verwendung eines Kosenamens irritiert hier, da die Beziehung zwischen Fachkraft und Schüler formeller und distanzierter erwartet wird.

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